Mis à jour le 05.03.2012 Mentions légales

Die hier abgebildete Collage stammt von 1950 und ist typisch für die Arbeiten, die die Künstlerin mit selbstklebenden Etiketten hergestellt hat. Die Formen scheinen frei über der blauen Oberfläche zu schweben. Ein Tanz beginnt, der Wind weht über die kleinen Fetzen Papier. Dennoch verliert diese kleine Collage nichts von der strukturellen Strenge, die Marcelle Cahn von 1925 an für ihre Arbeiten reklamiert.

Genau betrachtet handelt es sich bei dem Bildträger dieser Collage um eine blaue Etiketten-Unterlage. Diese Unterlage bestimmt die Komposition des Bildes mit ihren eng aneinander gedrängten Formen, den Rauten, Dreiecken, Kreisen und Quadraten wesentlich mit. Und es ist, als verstärke der leicht verbrauchte Zustand der Etiketten noch die vorgegebene Struktur auf der Etiketten-Unterlage.

Der Bildträger ist hier von großer Bedeutung: er ist sozusagen vorkomponiert, er gibt den Farbton an, jenes leicht verblichene Blau, aber er fungiert auch als Formenreservoir. Die Spuren der fehlenden Etiketten unten rechts weisen darauf hin, dass diese Etiketten sich in anderen Collagen jener Zeit befinden könnten.

Die geometrischen Formen werden ständig verschoben, so als suche die Künstlerin einen Rhythmus, der weder repetitiv noch mechanisch ist, sondern eher lebendig, leicht und voller Fantasie. In dieser Collagen scheinen einige Formen schon ihren Platz gewechselt zu haben. Der etwas verdunkelte Kreis unten links stammt wohl aus der oberen Kreisgruppe, eine Raute wurde nach oben rechts verschoben, überdeckt seine Nachbarform und gesellt sich zu anderen Formen, um eine Richtung zu geben. Konstruierte Struktur, mechanisches Abheben der Etiketten und verwirrende Freiheit bei deren Umordnung und den damit verbundenen Assoziationen. Prekäres Gleichgewicht, Spannung.

Wie Marie Luise Syring schreibt, sind Marcelle Cahns Collagen „Träger einer verborgenen Dialektik, nicht, weil in ihnen inhaltlich Widersprüchliches zum Ausdruck käme, aber aus der Zweckentfremdung heraus; wenn Marcelle Cahn den Briefumschlag zur „Grundfarbe" ihrer Kompositionen macht und die maschinell gestanzte Warenetikette zur „Form", dann entsteht ein dialektisches Gegenstück zum bloßen Gebrauchswert der Dinge, das ihren Collagen alles Beliebige oder rein Verspielte wieder nimmt. Sie sind aus scheinbar Entlegenem, Wertlosem, Kunstfremdem entstanden und werden ein Symbol der Aufgreifbarkeit. Sie sind Rekonstruktionen, wiedererbaute Welt." (1)

Stéphane Mroczkowski

(1) Marie Luise Syring. „Marcelle Cahn. Vom Purismus zur puristischen Abstraktion", Galerie & Edition Schlégl, Zürich 1983, S. 40.

Ohne Titel, 1952
Collage, Klebstreifen, Etiketten geklebt auf eine Etiketten-Unterlage
14,7 x 13,2cm
Privatsammlung. Alle Rechte vorbehalten
Foto: S. Mroczkowski 

Stadtrundgang « Auf den Spuren Marcelle Cahns in Straßburg » Klicken Sie hier. Das Büchlein « Rencontres avec Marcelle Cahn» ist herausgegeben. Klicken Sie hier.
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