Mis à jour le 16.02.2012 Mentions légales

Gottfried Honegger

Der Freundeskreis Marcelle Cahn dankt Gottfried Honegger für die freundliche Erlaubnis, hier seine „Hommage an Marcelle Cahn" abdrucken zu dürfen.

Eine Hommage an Marcelle Cahn

Du bist 1895 in Straßburg geboren.
Du hast uns 1981 verlassen.
Daher zeugt Dein Werk von der Kunst unseres Jahrhunderts.
Du hast ihre Veränderungen erlebt und mitgestaltet.
Du bist Autorin und Zeugin zugleich.
Die bist die Verpflichtungen, die die Kunst auferlegt, eingegangen.

Du hast niemals gezögert, Du hast sie nie verraten.
Du bist nie dem leichten Erfolg in die Falle gegangen.
Du hast Dich nie einer Doktrin verschrieben.
Dein Humor und Deine Liebe haben Dich vor einer grausamen Welt bewahrt.

Die Spuren Deines Werks
Deine kubistischen und konstruktiven Bilder
Zeigen deutlich, dass Du einen Geist der Erneuerung besessen hast.
Dass Du verstehen wolltest
Antwort auf unsere Fragen geben.

Ich habe kein Gedächtnis, ich habe Erinnerungen.

Es war 1963, ich klopfte zum ersten Mal an die Tür Deines Ateliers. Die Rue Daguerre war unsere gemeinsame Straße. Das machte es mir möglich, Dich oft zu sehen und zu sprechen. Dein Atelier war eine Art Assemblage, ein Ort, der wie eine dreidimensionale Collage aussah. Du warst fähig zu lachen. Ich sehe Dich noch vor mir, fragil und durchsichtig - bekleidet mit Deinem Arbeitskittel. Du hast mit den Techniken gehadert, mit den Widerständen des Materials gekämpft. Du warst auf der Suche nach einem Weiß, das alle Farben Weiß überträfe. Du suchtest Mutter und Vater - Kreis und Quadrat. Im Übrigen entging Deinem Blick nichts. Alles, was Dich umgab, war dazu verdammt, in ein Kunstwerk verwandelt zu werden. Ein Briefumschlag, eine Medikamentenschachtel oder ein Metro-Fahrschein genügten Dir, um in Deine Träume abzutauchen, um uns die Augen zu öffnen für die Poesie in unserer Welt. Am Ende Deines Lebens erwacht der Geist des Dadaismus in Dir in einer Reinheit, die es mir erlaubt zu sagen, dass die Kunst die höchste „geistige Qualität" des Menschen ist. Du hast das Nutzlose zurückgewiesen. Du hast Deine Arbeit nicht durch falschen Luxus beschwert oder durch nichtige Aktivitäten.

Marcelle Cahn…

Deine Haltung hat meine Art zu leben wesentlich geprägt. Du hast mir die Linie der Sicherheit abgesteckt. Du bist es, die mir in schwierigen Momenten den Mut gibt, voran zu schreiten. Du bist es, die mich gelehrt hat, dass die Kunst das Leben ist.
Ich imitiere Deine Art zu lachen.
Ja, Madame Marcelle Cahn, es gibt Momente, in denen ich Sie anrufen möchte, in denen ich Ihnen Fragen stellen möchte. Aber nun ja, Ihre Werke sind da, um mich mit mir selbst zu versöhnen. Diese Hommage haben Sie verdient. Sie verdienen sie umso mehr, als Sie dazu beigetragen haben, die „Blumen des Bösen" zu entlarven.

Dieser Text stammt von 1993, erschienen in  :
HONEGGER Gottfried.  Homo scriptor.  Les Presses du Réel, 2004

"  6. Oktober

Marcelle Cahn ist nicht mehr. Sie war eines der bewundernswertesten menschlichen Wesen, die ich zu treffen das Glück hatte. Eine Künstlerin mit jeder Fiber ihres Seins. Ich hätte in meinem Leben gerne ihre Poesie, ihren Mut, ihre Freude, ihre Haltung gegenüber der Kunst.
Marcelle Cahn hat Erzähl-Bilder erfunden. Sie hat nicht produziert, sie hat zur Welt gebracht. Wie durch Zauberei hat sie unsere Abfälle verwandelt, hat ihnen einen neuen Sinn gegeben. Wieso brauchen wir, um berühmt zu werden, eine Biographie, die den Medien entspricht? Berühmtheit braucht die Legende.
Marcelle Cahn hat auch eine dramatische persönliche Geschichte gehabt. Sie war Schülerin von Lovis Corinth, dem Expressionisten. Sie wurde in Straßburg geboren und hat dort gelebt. Das heißt, sie war Französin, ist nach dem Krieg Deutsche geworden, wurde dann wieder Französin. Bis zu ihrem Lebensende war sie arm, sehr arm. Aber das, was für sie zählte, war nicht ihr persönliches Schicksal, sondern die Kunst. Nicht das geringste Selbstmitleid. Mit ihrer kleinen Stimme hat sie gewaltige Werke voller Kraft geschaffen."

Auszug aus dem Tagebuch von Gottfried Honegger von 1981, erschienen in : HONEGGER Gottfried . Homo scriptor.  Les Presses du Réel, 2004

Stadtrundgang « Auf den Spuren Marcelle Cahns in Straßburg » Klicken Sie hier. Das Büchlein « Rencontres avec Marcelle Cahn» ist herausgegeben. Klicken Sie hier.
  -> Wilkommen   -> Aussage von Zeitgenossen